Ich schrieb diesen Text 1999 als ich aus dem Wohnheim auszog für die "Hauszeitung" aber ich denke auch der ein oder andere Nicht-Student kann sich darin wiederfinden.
Die Männer-WG
Nach der Geburt muß der Mann noch genau zweimal in seinem Leben einen wärmenden, schützenden Schoß verlassen. Das erstemal, wenn er sein Kinderzimmer räumt. Das zweitemal, wenn er seine kuschelig-miefige Junggesellen-WG verläßt, um mit einer Frau zusammenzuleben. Für viele Männer ist dieser Schritt das wahre Geburtstrauma. Denn die Männer-WG ist ein friedlicher, idyllischer Ort, eine arkadische Landschaft aus verstreuten Tennissocken, Bundesliga-Stecktabellen, getrockneten Zimmerpalmen und Sophie-Marceau-Plakaten. Der Schock ist groß, wenn wir aus diesem Paradies vertrieben werden.
Vielleicht läßt sich die Männer-WG am besten anhand ihres spirituellen Mittelpunktes erklären. Es ist der Bierkasten. Oder, richtiger: Die Kasten Bier. Ganz egal, obaus diesem getrunken wird, oder nicht - es geht immer darum, "einen Kasten Bier im Haus zu haben". Dieser Kasten Bier ist der augenfällige Beweis einer grundehrlichen, geradezu bauarbeiterhaften Bodenständigkeit, die wir uns trotz unserer lahmen Schlipsträger-Jobs bewahrt haben. Ein Mann braucht einen Bierkasten, um einem anderen Mann seine Zuneigung auszudrücken: "Komm doch mal vorbei, wir haben auch `n Kasten Bier im Haus."
Der Kasten dient außerdem als Legitimation aller möglichen Aktivitäten, die ohne ihn ziellos, ja läppisch erscheinen würden: "Dann trommeln wir ein paar Leute zusammen, schnappen uns einen Ball, gehen in den Park, und wir bringen einen Kasten Bier mit." Zum Kasten Bier gehören in der Männer-WG zahlreiche Rituale, etwa das, keinen Flaschenöffner zu haben, um die Flasche wortlos mittels Feuerzeug, Rohrzange, 17er Maulschluessel oder am Kasten selbst zu öffnen - wobei die letzte Variante sicher die schönste ist, der Kasten Bier als vollkommenes geschlossenes System. Kein Wunder übrigens, daß man Männer, die lange in Männer-WGs gelebt haben, oft an einer kronkorkenförmigen Narbe unter der Fußsohle erkennt.
Mit dem Kasten Bier, dessen Bedeutung gar nicht zu überschätzen ist, hängt ein anderes Männer-WG-typisches Phänomen zusammen. Was den Protestanten ihr Kirchentag, den Ravern ihre Love-Parade, den Telekom-Aktionären ihre Hauptversammlung, das sind den in WGs organisierten Männern die internationalen Fußballturniere EM und WM: ein großes sinnstiftendes Gemeinschaftserlebnis. Allein das Bewußtsein, daßn es sich zur selben Zeit Millionen andere genauso mit Erdnußflips und einem Kasten Bier vor dem Fernseher gemütlich gemacht haben, schafft jenes quasi-erotische Zusammengehörigkeitsgefühl, das man sonst nur durch Einnahme von Ecstasy oder die Ausschüttung einer schönen Dividende erreicht.
Fast so wichtig wie der Kasten Bier ist der blaue Müllsack. Er reduziert nicht nur die Gänge zum Container auf einen pro Monat, er garantier auch, daß der Kontakt zu den Eltern nicht völlig abreißt: Etwa alle sechs bis acht Wochen schleppen WG-Männer ihre Schmutzwäsche in dem von innen feucht beschlagenen blauen Müllsack zu Mama. Denn die Männer-WG hat keine Waschmaschine oder benutzt sie nicht.
Das hat nichts mit Faulheit zu tun, ebensowenig wie die diversen Sedimentschichten Schmutzgeschirr. Vielmehr kommt es in Männer-WGs zu einer physikalischen Anomalie von kosmischen Ausmaßen: Das Gesetz, daß Energie nicht verloren gehen kann, wird in jeder Männer-WG tagein, tagaus aufs neue widerlegt. Energie wird hier spurlos abgesaugt, bis selbst der größte Ehrgeizling seine Aktivitäten darauf beschränkt, eine Kuhle in die Fernsehcouch zu sitzen und ab und zu "machen wir morgen" und "bloß keinen Streß" zu nuscheln. Wenn überhaupt, denn nach jahrelangem Zusammenwohnen beschränkt sich die verbale Kommunikation in der Männer-WG zumeist auf verschiedene Intonationen des Koseworts "Alter". "Alter" ohne Betonung bedeutet: "Hallo, wie geht's, wie war dein Tag?" "Alteeeeer", gedehnt: Ausdruck großer Begeisterung und Anerkennung, etwa wenn ein Mitglied der WG Pizza geholt hat. "Alter!", nachdrücklich: Du stehst im Bild.
Man merkt schon, in der Männer-WG herrschen vorzivilisatorische Zustände. Viele dort praktizierten Verhaltensweisen sind nur als tiefverwurzelter Aberglaube zu erklären: Nie den Klosettdeckel runterklappen, das bringt Unglück! Die hinteren Regionen des Kühlschranks sind geschützter Lebensraum für mutierte Nahrungsmittel und für Menschen tabu! Comic-Lektüre erleichtert den Stuhlgang! Das heikle Thema Toilettenlektüre hat in diesem Zusammenhang besondere Beweiskraft: Wir Männer wollen es uns überall so gemütlich wie möglich machen. Wir werden von einem Nesttrieb gesteuert, wie er in der Tierwelt kein zweites Mal vorkommt. Wir haben den Schrebergarten, die Eckkneipe und die Business-Class erfunden, damit wir es überall schön heimelig haben: in der "Kolonie kleine Zuflucht", in "Lothi's Präpelstübchen", in der "Executive-Lounge". Und eben in der Männer-WG.
Aus diesem Biotop werden wir jäh herausgerissen, wenn wir zum ersten Mal in unserem Leben mit einer Frau zusammenziehen. Als unsere Männer-WG von der Faust der heterosexuellen Anziehung zerschmettert wurde, ereilte alle meine Freunde dasselbe Schicksal: Frauen, die in das Zusammenleben uns vorher völlig unbekannte Komponenten hereinbrachten. Vor allem kalte, schneidende Vernunft: "Wieso einen ganzen Kasten? Das trinken wir doch nie!" Früher kauften wir Lebensmittel stückweise im Spätkauf der Tankstelle, jetzt bekommen wir Einkaufszettel an die Hand, die in der Reihenfolge der Warenregale im Verbrauchermarkt geordnet sind. Vorbei ist es auch mit der geradezu Biolekschen Harmoniesucht, die wir aus der Männer-WG gewöhnt waren. Zum ersten Mal stellen wir fest, daß man Probleme auch anders lösen kann, als sie vorm Fernseher oder auf dem Klo auszusitzen. Wir lernen, daß es außerhalb der Männer-WG nicht zur Versöhnung reicht, dem anderen ein blutiges Steak zu braten.
Am gravierendsten aber ist das Ende der Gemütlichkeit. In der Männer-WG kamen Kumpels vorbei ("Habt ihr `n Kasten Bier da?"), heute haben wir Gäste. Wir werden plötzlich gezwungen, uns Gedanken zu machen über Tischdecken, Menüabfolgen und Gesprächsstoff, wo früher die Pizza aus dem Karton alle drei Probleme auf einmal löste ("Mann, ist die Pizza heute wieder schmierig." - "Kannste laut sagen." - "MANN; IST DIE PIZZA...", usw.).
Während der Mikrokosmus Männer-WG sich selbst genug ist, geraten wir nun ständig mit der Außenwelt in Berührung: mit Theatern, Museen, Einrichtungshäusern und mit den Müllcontainern hinten auf dem Hof. Erst im Zusammenleben mit einer Frau werden wir langsam zu funktionstüchtigen Mitgliedern der sozialen Gemeinschaft. Aber diese Evolution vom Höhlenbewohner zum Homo lebensgefaehrtiensis ist ein schmerzhafter Prozeß, der uns viele Opfer abverlangt. Zum Beispiel Kurts Hemden-Trick, der einem das Bügeln ersparte: ein ungebügeltes Hemd einen Tag lang unter einem Pullover anziehen, so daß es am nächsten Tag nicht mehr ungebügelt aussieht, sondern so, als sei es gebügelt worden und dann am Körper zerknittert. Nun kann man das Hemd noch zwei Tage ohne Pullover anziehen! Wir haben ihn dafür bewundert, Beate hat ihm nahegelegt, einen Bügelkurs zu belegen.
Frank pflegte seinen Sessel so vor den Fernseher zu schieben, daß er den Fuß bequem auf den Fernsehtisch auflegen konnte, um mit der nackten Zehe die Programme zu wechseln und die Lautstärke zu regeln. Eine schöne, körperliche Form von Interaktivität, eine symbiotische Einheit von Mensch und Medium, die langen Fernsehabenden eine geradezu metaphysische Qualität verlieh. Karla hat einfach neue Batterien für die Fernbedienung gekauft, nachdem sie zusammengezogen sind.
Vorbei die Zeiten, da wir uns mit dem heißen Eierwasser einen zeit- und energiesparenden Beuteltee aufgossen. Noch schwerer aber fällt es uns, Nudeln plötzlich ohne Hilfe der Küchendecke zu kochen. In unserer Männer-WG hatten wir nämlich einen genialen Trick entwickelt, auf den man in Christiane Herzogs Kochstudio lange warten kann: Um festzustellen, wann Spaghetti fertig sind, nimmt man ein paar aus dem Topf und schleudert sie an die Decke. Fallen sie wieder herunter, so sind sie noch zu hart. Bleiben sie kleben, sind sie genau richtig.
Die Männer-WG.....
- dr.scirado
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Re: Die Männer-WG.....
wow und das hast du echt selber geschrieben? super!!
hachja da finden sich einige elemente meines lebens wieder
super!
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- Macho
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Re: Die Männer-WG.....

...ich lebe zwar nichtmehr im Kinderzimmer aber so'ne WG hört sich verlockend an !
Gruß Macho
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- Tempest
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Re: Die Männer-WG.....
Kann mich dem geschriebenen nur anschliessen
Schöne Zeiten war das damals
Tempest


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Re: Die Männer-WG.....
@desperado: wieso denn nicht? als gepflegter abiturient muss man sich täglich mit solchen worthülsen rumschlagen!
greetz
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Re: Die Männer-WG.....
@desperado:
Ähmm........ ich glaube als ehemaliger Kollumenschreiber eines Lokalblattes und Verfasser diverser Texte kann ich sehr wohl einen Wortschatz mein eigen nennen und der Begriff der physikalischen Anomalie (nicht Anatomie) wird sehr oft verwendet wenn grundlegende Gesetze der klassischen Physik ihre Bedeutung verlieren. Dieser Text wurde wohl zigfach kopiert, erschien mal online und ging dann durch die Bank. Das alles fand auf der 4.Etáge des Hauses Michael in Bochum statt, natürlich etwas überzogen aber im Kern trifft es die Sache.
Ausserdem habe ich mich früher mal mit diesem Herren (s.u.) beschäftigt und versucht seine Texte zu verstehen, bin auch heute noch in einem philosophisch orientierten Zirkel Mitglied (ähnlich wie "Club der toten Dichter")
Viel Spass beim Lesen und danach bitte eine Zusammenfassung in drei Sätzen
Gruss,
Superhobel
Martin Blumentritt
Zu K. R. Poppers "Kritischer Rationalismus" - Teil 1
"Die Taetigkeit des wissenschaftlichen Forschers besteht darin, Saetze oder Systeme von Saetzen aufzustellen und systematisch zu ueberpruefen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experiment ueberprueft werden."Logik der Forschung S. 3
Das erscheint nun zunaechst einmal verwunderlich, dass die Forschung es mit Saetzen (oder Systemen von Saetzen) zu tun habe und diese Saetze sollen an der Erfahrung ueberprueft werden. So unmittelbar vom Alltagsbewusstsein zu solchen Aussagen gibt es keinen Weg zum Verstaendnis. Ohne die Philosophie des Neukantianismus und des Wiener Kreises, aus dem heraus _und_ gegen sie Popper seine Theorie entwickelt, ist das nicht verstaendlich.
Der Neukantianismus war gegen die Restauration dogmatischen Denkens im 19.Jahrhundert entstanden, gegen Neuthomismus oder Neuscholastik, einer Wiederbelebung mittelalterlicher dogmatischer Metaphysik. Als dogmatisch kritisierte der Neukantianismus jedes Denken, das die Autonomie des Denkens einem "Standpunkt" ausserhalb des Denkens opferte. Die absolute (losgeloeste) Selbstbestimmung des Denkens wurde gegen die "Heteronomie eines sie meistern wollenden Metaphysizismus"(Paul Natorp) ins Feld gefuehrt. Denkfremde Inhalte, dem das Denken sich zu fuegen haette, sollte es nicht geben. Im Negativen hatte der Neukantianismus recht, aber von seiner richtigen Kritik schritt er fort zu seiner idealistisch- positivistischen Konsequenz. Die bei Kant getroffene Unterscheidung zwischen Ansichsein und Erscheinung der Dinge wurde zugunsten der letzteren, zugunsten der alleinigen Realitaet begrifflich fixierbarer Bewusstseinsinhalte eingeebnet. Das Denken wurde zum absolut Ersten und postulierte ein Welt reiner Immanenz.
Eine Welt jenseits der unmittelbaren Tatsachen, sollte es nicht bloss in der Wissenschaft, sondern auch in der Philosophie nicht mehr geben. Fuer die Naturwissenschaften ist diese Beschraenkung von objektiver Realitaet eine Forderung der experimentellen Methode, ein unerfahrbares Sein kann es im Experiment nicht geben. Wir werden spaeter zeigen, dass gerade das Experiment, das universelle Momente hat und die Intersubjektivitaet gewaehrleistet, etwas anderes nahelegt, als den Positivismus. Aus der Beschraenkung auf Tatsachen machte der philosophische Positivismus (Ernst Machs z.B.) ein Dogma. Es sollte nicht mehr nach einem positiv nicht erkennbaren Gehalt auch nur gefragt werden.
Nach Mach und Avenarius hat sich die Wissenschaft auf die exakte Beschreibung des unmittelbar Gegebenen zu beschraenken (Fragen nach dem Wem, dem gegeben wird und dem Was wurden verboten). Gegeben sind qualitative Elemente wie Farben, Toene, Gerueche und andere auch innere Empfindungen. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, die einfachste Beschreibung der Abhaengigkeiten zwischen den Elementen zu finden.
Nun erkannte Moritz Schlick, der Begruender des Wiener Kreises, dass dies zu absurden Konsequenzen fuehren muesste. Nach Schlick muesse es auch etwas geben, was nicht gegeben ist, sonst gebe es keine empirische Wissenschaft, die etwas zu erforschen haette. Er hinterfragte allerdings nicht die Voraussetzungen, sondern stutzte nur anlaesslich der Konsequenzen. Trotz der Tatsache, dass nur die Objekte der phaenomenalen Welt gegeben sind, die Dinge an sich nicht, meinte er, dass die Erkenntnis der Erscheinungswelt eine Erkenntnis der Welt an sich liefere. Positive Erkenntnis solle nicht auf das anschaulich Gegebene reduziert sein, wie bei Kant.
(NB: Warum die Kritik Kant verfehlt, darauf ist jetzt noch nicht einzugehen, weil es hier nur darum geht, die philosophische Situation zu rekonstruieren, die man als Poppers Problemlage bezeichnen kann. Der Wiener Kreis, fuer den 1931 Blumberg und Feigl den Begriff "logischer Positivismus" entwickelten, ist vom allgemeinen Begriff des Neopositivismus abzugrenzen, zu dem auch die Theorien Poppers gehoeren, als auch vom traditionellen Positivismus (Saint-Simon, Comte, Bacon, Bentham, Wundt) und Empirismus (Locke, Berkeley, Hume, Mill) und grenzt sich auch ab vom Empiriokritizismus (Mach, Avenarius, Petzold) und von logischen Empirismus Russells. Ohne die Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis, zu dem Popper nur partiell zugehoerig war, bleibt verschlossen, worum es geht. Der Gegensatz zeigte sich allerdings, als auf ein als "Zuschriften an den Herausgeber" veroeffentlichten Beitrag Poppers zur Problemstellung "Verifikation/Falsifikation" Hans Reichenbach und Otto Neurath ungewoehnlich scharf reagierten und Popper gaenzlich von dem Kreis sich trennte.
Aus der Sicht der heutigen "analytischen Philosophie" genannten positivistischen und nachpositivistischen Schulrichtungen gelten die Anfaenge nur noch von historischen Interesse, man selber stehe "jenseits von Popper und Carnap"(Stegmueller). Von einer dialektischen Hermeneutik aus betrachtet ist so ein Unberuecksichtigtlassen der eigenen Entstehungsgeschichte undialektisch. Das Woher und Wohin, d.h. die Problemlage und die Aufloesung der theorieimmanenten Widersprueche durch die spaeteren gehoert mit dazu, sie beleuchten den Gegenstand.)
Die empiristische Konzeption hatte absurde Konsequenzen, wollte sie doch die gesetzmaessigen Zusammenhaenge der Phaenomene auf Assoziationen von Vorstellungen zurueckfuehren, Naturgesetze waeren demnach Erzeugnis des psychologischen Beduerfnis die Natur zu ordnen, um den Vorgaengen "nicht fremd und verwirrt gegenueber zu stehen"(Mach). Der Neukantianismus fuerchtete den Verlust von objektiver Erkenntnis ueberhaupt angesichts des "theoretischen Nihilismus" (Natorp) und suchte nach eine von den Leistungen empirischer Subjekte unabhaengige Naturgesetzlichkeit, was angesichts dessen, dass ein transzendentes Ansichsein verworfen wurde, eine metaphysische Begruendung der Gesetze also nicht moeglich war, nur zu einer idealistischen Loesung fuehren konnte, ein Denkmonismus gegen den Vorstellungsmonismus des Positivismus zu stellen.
Alles ist Denken, Denken ist alles war die Parole (Vgl. Natorp). Es wird "kein Sein, das nicht im Denken selbst gesetzt"(Natorp) ist, geduldet. Ein wahrlich schoepferisches Denken, das Hegel ueberbietet, der immerhin noch der Differenz zwischen Denken und Sein bedurfte, um diese dann aufzuheben. Es waere nur konsequent auch noch den irrationalen Glauben an einen Ursprung fallenzulassen. Dies geschieht dann im modernen Positivismus, wie es sich im Leitmotiv Wittgensteins ausdrueckt: "Wovon man nicht sprechen kann, darueber muss man schweigen." Die Philosophie "reinigt" sich von allen Begriffen, die noch an Metaphysik erinnern. Weder auf einen transzendenter Grund wie bei Kant noch auf einen transzendentalen wie bei den Neukantianern werden die gesetzmaessigen Erscheinungen noch bezogen, es gibt kein Ursprung ihrer objektiven Gueltigkeit. (Wir werden sehen, dass Popper dann wieder darauf zurueckkommt)
Carnap gilt jedes idealistische oder realistische Fragen nach ontologischen Gruenden als sinnloses Unternehmen. Sinnvoll sind nur sachhaltige Aussagen, d.h. solche, die eindeutige Korrelationen zwischen messbaren Groessen physikalischer Vorgaenge formulieren. Wittgenstein (der fruehe des Tractatus, der eben schon zitiert wurde) folgert dann auch, dass die richtige Methode sei, nichts ausser "Saetzen der Naturwissenschaft" zu sagen.
Im empiristischen Sinnkriterium, nachdem der Sinn eines Satzes durch die Methode seiner Verifikation gegeben sei, wurden tendenziell alle generellen Saetze aus dem Bereich sinnvoller Saetze ausgeschlossen. und das Verifikationsprinzip selber nahm metaphysischen Charakter an, so dass man von einem Fortschritt vom Gottesdienst zum Tatsachendienst sprechen kann.
Damit ist Carnap zufolge jegliche Metaphysik aus der Philosophie verdammt, was gleichbedeutend mit dem Verbot ist, die Moeglichkeit der Naturwissenschaften in irgendeiner "Ordnung der Welt" zu fundieren, wie Neurath schrieb.
Diese galt nur als Scheinbegriff eines Unbedingten jenseits von allem Bedingten (Vgl. Carnap, Die alte und die neue Logik: "Alle physischen Begriffe lassen sich auf die eigenpsychischen zurueckfuehren, da jeder physikalische Vorgang prinzipiell durch Wahrnehmungen feststellbar ist." "Niemals kann aus einem Sachverhalt ein anderer erschlossen werden. (Nach ueblicher Auffassung geschieht dies beim induktiven Schluss; die logische Analyse fuehrt aber zu einer anderen Interpretation, auf die hier nicht eingegangen werden kann.) Daraus folgt die Unmoeglichkeit jeder Metaphysik, die aus der Erfahrung auf Transzendentes, jenseits der Erfahrung Liegendes, selbst nicht Erfahrbares schliessen will, z.B. auf das "Ding an sich" hinter den Erfahrungsdingen, auf das "Unbedingte", "Absolute" hinter allem Bedingten, auf "Wesen" und "Sinn" der Vorgaenge hinter diesen Vorgaengen selbst. (...) mit Hilfe der strengeren Methoden kann so ein gruendliche Reinigung der Wissenschaft vorgenommen werden."(Zitiert nach: G.Skirbekk, Wahrheitstheorien S.86f)
(Auch in der Philosophie geht es also als ganz reinlich zu
Demnach sind die Naturwissenschaft nur moeglich durch sich selbst, sie sind nicht fundiert in einer strukturierten Welt an sich selbst, die auf Erkennbarkeit hin interpretiert wird, aber in ihrer Totalitaet verschlossen bleibt. Neuraths konsequenter Positivismus zieht dann auch die Konsequenz, dass Wahrheit nicht als Uebereinstimmung von Aussagen mit der Welt zu deuten sei. Die Rede von der Wahrheit einer Aussage durch die Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit darf der konsequente Positivismus nicht einmal als Metapher dulden.(Neurath, Radikaler Physikalismus und Wirkliche Welt, S. 354)
Seine "Kohaerenztheorie" der Wahrheit stellt nur noch "in sich widerspruchsfreie Satzgesamtheiten" zur Debatte. (Die spaetere sprachanalytische Philosophie posaunt dann genauso laut, wie sie hier "Metaphysik ist Bloedsinn" schreit, aus: "Metaphysik ist Bloedsinn" zu sagen, sei selber Bloedsinn.) Das menschliche Denken verbleibt demnach im Bereich der Aussagen. Darueber entbrannte im Wiener Kreis eine Diskussion, bei der verschiedene Positionen eingenommen wurden. Carnap intendierte ein Konstitutionssystem empirischer Begriffe, das alle erfahrungswissenschaftlichen Begriffe auf unmittelbar Gegebenes zurueckfuehrt. Dies soll durch eine Beziehungsbeschreibung im Rahmen einer Russell/Whiteheadschen Strukturanalyse geschehen. Die Systembasis sind Eigenerlebnisse. Hier setzt sich Carnap dem Solispismusverdacht willentlich aus (In der 2. Auflage zum logischen Aufbau der Welt S. X im Vorwort:
"Da die Wahl der eigenpsychischen Basis nur die Anwendung der Form, der Methodik des Solipsismus bedeutet, nicht aber die Anerkennung seiner inhaltlichen These, so koennen wir hier vom 'methodischen Solipsismus' sprechen."
Das Wort kommt von solus, -a,-um und ipse, allein und selbst und bezieht sich auf eine einsames erkennendes Subjekt, was Marx als Robinsonade bezeichnet haette. Das Problem, das sich stellt, ist das von Anschaulichkeit und Abstraktheit, das mit dem Russelschen Strukturbegriff nicht zureichend geklaert werden konnte, der ging eigentlich nur auf Anschauliches, waehrend Carnap meinte, "dass das Gegebene nicht eine Struktur traegt, sondern praktisch eine und damit auch seine Struktur ist"(Logischer Aufbau der Welt, 175)
Hier wiederholt sich eine Problematik, die sich in der Kritik Humes an Lockes Realismus schon zeigte. Die Erfahrungsdaten werden beobachtet, aber nicht der kausale oder strukturelle Nexus zwischen den Daten. Daraus entsprang bei Hume eine bestimmte Form von Konventionalismus (d.h. er behauptete, die Kausalitaet beruhe auf Gewohnheit, so dass ein erkannter Zusammenhang durch kuenftige Erlebnisse zu widerlegen waere). Dies hatte dann Kant bewogen, anhand der experimentellen Naturwissenschaft dem Empirismus ganz zu kritisieren und das Ganze umzudrehen, wir erkennen die Natur, sofern wir ihr die Gesetze vorschreiben.
Wir werden noch sehen, wie Popper Kants "synthetische Urteile apriori" deutet und auf Basis dieser Deutung durchaus konsequent ablehnen muss. Kant hatte allerdings nicht die idealistischen Konsequenzen gezogen wie Fichte bis Hegel, sondern diesen Vorgang auf die Welt der Erscheinungen beschraenkt, nicht auf die Welt an sich, die als Realgrund der Erscheinung, in ihrer Bestimmtheit verschlossen bleibt. Dem naehert sich dann die spaetere an Wittgenstein II orientierte Philosophie wieder an und auch der Operationalismus oder Konstruktivismus bzw. die Kritische Theorie rekurrieren auf die Kantische Kritik am "Positivismus" bzw. Empirismus. Das wird uns noch beschaeftigen, wenn es um die Ueberpruefung von Poppers Kant- Interpretation gehen wird, die m.E. ihm auch das vollstaendige Verstaendnis der "Kritischen Theorie" versperrt.
Zurueck zum (logischen) Positivismus, ihm zufolge darf physikalischen Vorgaengen kein stoffliches Substrat untergeschoben werden, das waere eine "metaphysische Beimengung"(Carnap, Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, S.. 461): Aussagen als physikalische Vorgaenge meinen nur Prozesse, die sich in einer physikalischen Sprache formulieren lassen, von Ich oder Welt ist dann gar nicht mehr die Rede (so auch Neurath). Personen wie Gegenstaende sind "physikalische Sachverhalte", "quantitativ bestimmbare Beschaffenheiten" von "Raum-Zeit-Stellen". Jeder Soziologe soll demnach "darauf achten,, menschliches Verhalten immer ganz schlicht physikalistisch zu beschreiben"(Neurath, Soziologie als Physikalismus, S. 412) Das Kalkulierbare ist Massstab, die Individuen werden auf "Persoenlichkeitskoeffizienten" "physikalistischer Art" reduziert.
Aussagen sind also das Primaere. Konstitutive Zusammenhaenge sind die von singulaeren Beobachtungen und universellen Gesetzen. Ein universelles Gesetz sagt aus, dass in jedem Einzelfall gilt, "wenn Eines wahr ist dann ist auch ein zweites wahr"(Carnap, Einfuehrung in die Philosophie der Naturwissenschaft, S.29) Es wird somit bereits mehr behauptet als aus einem beobachtbaren Einzelfall erschlossen werden kann. Reine Beobachtungen koennen kein universelles Gesetz vollstaendig sichern. Daher hat Carnap zufolge der induktive Uebergang von einem beobachteten Bedingungsverhaeltnis "keine logisch strenge Berechtigung" (Physikalische Begriffsbildung, S. 8), sondern basiert auf einem Entschluss.
© Martin Blumentritt, Hamburg 1995
Ähmm........ ich glaube als ehemaliger Kollumenschreiber eines Lokalblattes und Verfasser diverser Texte kann ich sehr wohl einen Wortschatz mein eigen nennen und der Begriff der physikalischen Anomalie (nicht Anatomie) wird sehr oft verwendet wenn grundlegende Gesetze der klassischen Physik ihre Bedeutung verlieren. Dieser Text wurde wohl zigfach kopiert, erschien mal online und ging dann durch die Bank. Das alles fand auf der 4.Etáge des Hauses Michael in Bochum statt, natürlich etwas überzogen aber im Kern trifft es die Sache.
Ausserdem habe ich mich früher mal mit diesem Herren (s.u.) beschäftigt und versucht seine Texte zu verstehen, bin auch heute noch in einem philosophisch orientierten Zirkel Mitglied (ähnlich wie "Club der toten Dichter")
Viel Spass beim Lesen und danach bitte eine Zusammenfassung in drei Sätzen

Gruss,
Superhobel
Martin Blumentritt
Zu K. R. Poppers "Kritischer Rationalismus" - Teil 1
"Die Taetigkeit des wissenschaftlichen Forschers besteht darin, Saetze oder Systeme von Saetzen aufzustellen und systematisch zu ueberpruefen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experiment ueberprueft werden."Logik der Forschung S. 3
Das erscheint nun zunaechst einmal verwunderlich, dass die Forschung es mit Saetzen (oder Systemen von Saetzen) zu tun habe und diese Saetze sollen an der Erfahrung ueberprueft werden. So unmittelbar vom Alltagsbewusstsein zu solchen Aussagen gibt es keinen Weg zum Verstaendnis. Ohne die Philosophie des Neukantianismus und des Wiener Kreises, aus dem heraus _und_ gegen sie Popper seine Theorie entwickelt, ist das nicht verstaendlich.
Der Neukantianismus war gegen die Restauration dogmatischen Denkens im 19.Jahrhundert entstanden, gegen Neuthomismus oder Neuscholastik, einer Wiederbelebung mittelalterlicher dogmatischer Metaphysik. Als dogmatisch kritisierte der Neukantianismus jedes Denken, das die Autonomie des Denkens einem "Standpunkt" ausserhalb des Denkens opferte. Die absolute (losgeloeste) Selbstbestimmung des Denkens wurde gegen die "Heteronomie eines sie meistern wollenden Metaphysizismus"(Paul Natorp) ins Feld gefuehrt. Denkfremde Inhalte, dem das Denken sich zu fuegen haette, sollte es nicht geben. Im Negativen hatte der Neukantianismus recht, aber von seiner richtigen Kritik schritt er fort zu seiner idealistisch- positivistischen Konsequenz. Die bei Kant getroffene Unterscheidung zwischen Ansichsein und Erscheinung der Dinge wurde zugunsten der letzteren, zugunsten der alleinigen Realitaet begrifflich fixierbarer Bewusstseinsinhalte eingeebnet. Das Denken wurde zum absolut Ersten und postulierte ein Welt reiner Immanenz.
Eine Welt jenseits der unmittelbaren Tatsachen, sollte es nicht bloss in der Wissenschaft, sondern auch in der Philosophie nicht mehr geben. Fuer die Naturwissenschaften ist diese Beschraenkung von objektiver Realitaet eine Forderung der experimentellen Methode, ein unerfahrbares Sein kann es im Experiment nicht geben. Wir werden spaeter zeigen, dass gerade das Experiment, das universelle Momente hat und die Intersubjektivitaet gewaehrleistet, etwas anderes nahelegt, als den Positivismus. Aus der Beschraenkung auf Tatsachen machte der philosophische Positivismus (Ernst Machs z.B.) ein Dogma. Es sollte nicht mehr nach einem positiv nicht erkennbaren Gehalt auch nur gefragt werden.
Nach Mach und Avenarius hat sich die Wissenschaft auf die exakte Beschreibung des unmittelbar Gegebenen zu beschraenken (Fragen nach dem Wem, dem gegeben wird und dem Was wurden verboten). Gegeben sind qualitative Elemente wie Farben, Toene, Gerueche und andere auch innere Empfindungen. Die Wissenschaft hat die Aufgabe, die einfachste Beschreibung der Abhaengigkeiten zwischen den Elementen zu finden.
Nun erkannte Moritz Schlick, der Begruender des Wiener Kreises, dass dies zu absurden Konsequenzen fuehren muesste. Nach Schlick muesse es auch etwas geben, was nicht gegeben ist, sonst gebe es keine empirische Wissenschaft, die etwas zu erforschen haette. Er hinterfragte allerdings nicht die Voraussetzungen, sondern stutzte nur anlaesslich der Konsequenzen. Trotz der Tatsache, dass nur die Objekte der phaenomenalen Welt gegeben sind, die Dinge an sich nicht, meinte er, dass die Erkenntnis der Erscheinungswelt eine Erkenntnis der Welt an sich liefere. Positive Erkenntnis solle nicht auf das anschaulich Gegebene reduziert sein, wie bei Kant.
(NB: Warum die Kritik Kant verfehlt, darauf ist jetzt noch nicht einzugehen, weil es hier nur darum geht, die philosophische Situation zu rekonstruieren, die man als Poppers Problemlage bezeichnen kann. Der Wiener Kreis, fuer den 1931 Blumberg und Feigl den Begriff "logischer Positivismus" entwickelten, ist vom allgemeinen Begriff des Neopositivismus abzugrenzen, zu dem auch die Theorien Poppers gehoeren, als auch vom traditionellen Positivismus (Saint-Simon, Comte, Bacon, Bentham, Wundt) und Empirismus (Locke, Berkeley, Hume, Mill) und grenzt sich auch ab vom Empiriokritizismus (Mach, Avenarius, Petzold) und von logischen Empirismus Russells. Ohne die Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis, zu dem Popper nur partiell zugehoerig war, bleibt verschlossen, worum es geht. Der Gegensatz zeigte sich allerdings, als auf ein als "Zuschriften an den Herausgeber" veroeffentlichten Beitrag Poppers zur Problemstellung "Verifikation/Falsifikation" Hans Reichenbach und Otto Neurath ungewoehnlich scharf reagierten und Popper gaenzlich von dem Kreis sich trennte.
Aus der Sicht der heutigen "analytischen Philosophie" genannten positivistischen und nachpositivistischen Schulrichtungen gelten die Anfaenge nur noch von historischen Interesse, man selber stehe "jenseits von Popper und Carnap"(Stegmueller). Von einer dialektischen Hermeneutik aus betrachtet ist so ein Unberuecksichtigtlassen der eigenen Entstehungsgeschichte undialektisch. Das Woher und Wohin, d.h. die Problemlage und die Aufloesung der theorieimmanenten Widersprueche durch die spaeteren gehoert mit dazu, sie beleuchten den Gegenstand.)
Die empiristische Konzeption hatte absurde Konsequenzen, wollte sie doch die gesetzmaessigen Zusammenhaenge der Phaenomene auf Assoziationen von Vorstellungen zurueckfuehren, Naturgesetze waeren demnach Erzeugnis des psychologischen Beduerfnis die Natur zu ordnen, um den Vorgaengen "nicht fremd und verwirrt gegenueber zu stehen"(Mach). Der Neukantianismus fuerchtete den Verlust von objektiver Erkenntnis ueberhaupt angesichts des "theoretischen Nihilismus" (Natorp) und suchte nach eine von den Leistungen empirischer Subjekte unabhaengige Naturgesetzlichkeit, was angesichts dessen, dass ein transzendentes Ansichsein verworfen wurde, eine metaphysische Begruendung der Gesetze also nicht moeglich war, nur zu einer idealistischen Loesung fuehren konnte, ein Denkmonismus gegen den Vorstellungsmonismus des Positivismus zu stellen.
Alles ist Denken, Denken ist alles war die Parole (Vgl. Natorp). Es wird "kein Sein, das nicht im Denken selbst gesetzt"(Natorp) ist, geduldet. Ein wahrlich schoepferisches Denken, das Hegel ueberbietet, der immerhin noch der Differenz zwischen Denken und Sein bedurfte, um diese dann aufzuheben. Es waere nur konsequent auch noch den irrationalen Glauben an einen Ursprung fallenzulassen. Dies geschieht dann im modernen Positivismus, wie es sich im Leitmotiv Wittgensteins ausdrueckt: "Wovon man nicht sprechen kann, darueber muss man schweigen." Die Philosophie "reinigt" sich von allen Begriffen, die noch an Metaphysik erinnern. Weder auf einen transzendenter Grund wie bei Kant noch auf einen transzendentalen wie bei den Neukantianern werden die gesetzmaessigen Erscheinungen noch bezogen, es gibt kein Ursprung ihrer objektiven Gueltigkeit. (Wir werden sehen, dass Popper dann wieder darauf zurueckkommt)
Carnap gilt jedes idealistische oder realistische Fragen nach ontologischen Gruenden als sinnloses Unternehmen. Sinnvoll sind nur sachhaltige Aussagen, d.h. solche, die eindeutige Korrelationen zwischen messbaren Groessen physikalischer Vorgaenge formulieren. Wittgenstein (der fruehe des Tractatus, der eben schon zitiert wurde) folgert dann auch, dass die richtige Methode sei, nichts ausser "Saetzen der Naturwissenschaft" zu sagen.
Im empiristischen Sinnkriterium, nachdem der Sinn eines Satzes durch die Methode seiner Verifikation gegeben sei, wurden tendenziell alle generellen Saetze aus dem Bereich sinnvoller Saetze ausgeschlossen. und das Verifikationsprinzip selber nahm metaphysischen Charakter an, so dass man von einem Fortschritt vom Gottesdienst zum Tatsachendienst sprechen kann.
Damit ist Carnap zufolge jegliche Metaphysik aus der Philosophie verdammt, was gleichbedeutend mit dem Verbot ist, die Moeglichkeit der Naturwissenschaften in irgendeiner "Ordnung der Welt" zu fundieren, wie Neurath schrieb.
Diese galt nur als Scheinbegriff eines Unbedingten jenseits von allem Bedingten (Vgl. Carnap, Die alte und die neue Logik: "Alle physischen Begriffe lassen sich auf die eigenpsychischen zurueckfuehren, da jeder physikalische Vorgang prinzipiell durch Wahrnehmungen feststellbar ist." "Niemals kann aus einem Sachverhalt ein anderer erschlossen werden. (Nach ueblicher Auffassung geschieht dies beim induktiven Schluss; die logische Analyse fuehrt aber zu einer anderen Interpretation, auf die hier nicht eingegangen werden kann.) Daraus folgt die Unmoeglichkeit jeder Metaphysik, die aus der Erfahrung auf Transzendentes, jenseits der Erfahrung Liegendes, selbst nicht Erfahrbares schliessen will, z.B. auf das "Ding an sich" hinter den Erfahrungsdingen, auf das "Unbedingte", "Absolute" hinter allem Bedingten, auf "Wesen" und "Sinn" der Vorgaenge hinter diesen Vorgaengen selbst. (...) mit Hilfe der strengeren Methoden kann so ein gruendliche Reinigung der Wissenschaft vorgenommen werden."(Zitiert nach: G.Skirbekk, Wahrheitstheorien S.86f)
(Auch in der Philosophie geht es also als ganz reinlich zu

Demnach sind die Naturwissenschaft nur moeglich durch sich selbst, sie sind nicht fundiert in einer strukturierten Welt an sich selbst, die auf Erkennbarkeit hin interpretiert wird, aber in ihrer Totalitaet verschlossen bleibt. Neuraths konsequenter Positivismus zieht dann auch die Konsequenz, dass Wahrheit nicht als Uebereinstimmung von Aussagen mit der Welt zu deuten sei. Die Rede von der Wahrheit einer Aussage durch die Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit darf der konsequente Positivismus nicht einmal als Metapher dulden.(Neurath, Radikaler Physikalismus und Wirkliche Welt, S. 354)
Seine "Kohaerenztheorie" der Wahrheit stellt nur noch "in sich widerspruchsfreie Satzgesamtheiten" zur Debatte. (Die spaetere sprachanalytische Philosophie posaunt dann genauso laut, wie sie hier "Metaphysik ist Bloedsinn" schreit, aus: "Metaphysik ist Bloedsinn" zu sagen, sei selber Bloedsinn.) Das menschliche Denken verbleibt demnach im Bereich der Aussagen. Darueber entbrannte im Wiener Kreis eine Diskussion, bei der verschiedene Positionen eingenommen wurden. Carnap intendierte ein Konstitutionssystem empirischer Begriffe, das alle erfahrungswissenschaftlichen Begriffe auf unmittelbar Gegebenes zurueckfuehrt. Dies soll durch eine Beziehungsbeschreibung im Rahmen einer Russell/Whiteheadschen Strukturanalyse geschehen. Die Systembasis sind Eigenerlebnisse. Hier setzt sich Carnap dem Solispismusverdacht willentlich aus (In der 2. Auflage zum logischen Aufbau der Welt S. X im Vorwort:
"Da die Wahl der eigenpsychischen Basis nur die Anwendung der Form, der Methodik des Solipsismus bedeutet, nicht aber die Anerkennung seiner inhaltlichen These, so koennen wir hier vom 'methodischen Solipsismus' sprechen."
Das Wort kommt von solus, -a,-um und ipse, allein und selbst und bezieht sich auf eine einsames erkennendes Subjekt, was Marx als Robinsonade bezeichnet haette. Das Problem, das sich stellt, ist das von Anschaulichkeit und Abstraktheit, das mit dem Russelschen Strukturbegriff nicht zureichend geklaert werden konnte, der ging eigentlich nur auf Anschauliches, waehrend Carnap meinte, "dass das Gegebene nicht eine Struktur traegt, sondern praktisch eine und damit auch seine Struktur ist"(Logischer Aufbau der Welt, 175)
Hier wiederholt sich eine Problematik, die sich in der Kritik Humes an Lockes Realismus schon zeigte. Die Erfahrungsdaten werden beobachtet, aber nicht der kausale oder strukturelle Nexus zwischen den Daten. Daraus entsprang bei Hume eine bestimmte Form von Konventionalismus (d.h. er behauptete, die Kausalitaet beruhe auf Gewohnheit, so dass ein erkannter Zusammenhang durch kuenftige Erlebnisse zu widerlegen waere). Dies hatte dann Kant bewogen, anhand der experimentellen Naturwissenschaft dem Empirismus ganz zu kritisieren und das Ganze umzudrehen, wir erkennen die Natur, sofern wir ihr die Gesetze vorschreiben.
Wir werden noch sehen, wie Popper Kants "synthetische Urteile apriori" deutet und auf Basis dieser Deutung durchaus konsequent ablehnen muss. Kant hatte allerdings nicht die idealistischen Konsequenzen gezogen wie Fichte bis Hegel, sondern diesen Vorgang auf die Welt der Erscheinungen beschraenkt, nicht auf die Welt an sich, die als Realgrund der Erscheinung, in ihrer Bestimmtheit verschlossen bleibt. Dem naehert sich dann die spaetere an Wittgenstein II orientierte Philosophie wieder an und auch der Operationalismus oder Konstruktivismus bzw. die Kritische Theorie rekurrieren auf die Kantische Kritik am "Positivismus" bzw. Empirismus. Das wird uns noch beschaeftigen, wenn es um die Ueberpruefung von Poppers Kant- Interpretation gehen wird, die m.E. ihm auch das vollstaendige Verstaendnis der "Kritischen Theorie" versperrt.
Zurueck zum (logischen) Positivismus, ihm zufolge darf physikalischen Vorgaengen kein stoffliches Substrat untergeschoben werden, das waere eine "metaphysische Beimengung"(Carnap, Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, S.. 461): Aussagen als physikalische Vorgaenge meinen nur Prozesse, die sich in einer physikalischen Sprache formulieren lassen, von Ich oder Welt ist dann gar nicht mehr die Rede (so auch Neurath). Personen wie Gegenstaende sind "physikalische Sachverhalte", "quantitativ bestimmbare Beschaffenheiten" von "Raum-Zeit-Stellen". Jeder Soziologe soll demnach "darauf achten,, menschliches Verhalten immer ganz schlicht physikalistisch zu beschreiben"(Neurath, Soziologie als Physikalismus, S. 412) Das Kalkulierbare ist Massstab, die Individuen werden auf "Persoenlichkeitskoeffizienten" "physikalistischer Art" reduziert.
Aussagen sind also das Primaere. Konstitutive Zusammenhaenge sind die von singulaeren Beobachtungen und universellen Gesetzen. Ein universelles Gesetz sagt aus, dass in jedem Einzelfall gilt, "wenn Eines wahr ist dann ist auch ein zweites wahr"(Carnap, Einfuehrung in die Philosophie der Naturwissenschaft, S.29) Es wird somit bereits mehr behauptet als aus einem beobachtbaren Einzelfall erschlossen werden kann. Reine Beobachtungen koennen kein universelles Gesetz vollstaendig sichern. Daher hat Carnap zufolge der induktive Uebergang von einem beobachteten Bedingungsverhaeltnis "keine logisch strenge Berechtigung" (Physikalische Begriffsbildung, S. 8), sondern basiert auf einem Entschluss.
© Martin Blumentritt, Hamburg 1995
Re: Die Männer-WG.....
Und weiter gehts, auch wenn das im Scirocco Forum vielleicht nicht so passend ist, eher in eine Newsgruppe gehört. ..... Aufsatz zum Thema "Persönlichkeitsbildung und Krisenbewältigung" als Live-Vortrag. Die letzten Sätze von Hesse hängen bei mir zu Hause an der Wand als grundlegendes Lebensmotto.
(C) 1996 Christian Julius (Superhobel)
„Die Einflüsse der Fremdbestimmung sind gewaltig und verlockend. Deshalb bedarf es immer wieder der Konflikte und Krisen, damit du wach wirst und nein sagst. Fremdbestimmung ist Manipulation. Du wirst manipuliert von Eltern und Lehrern, den Bekannten, Freunden, Partnern, den Arbeitskollegen und Chefs. Diese Einflüsse haben eine enorme Wirkung, denn wenn man es anderen recht macht, dann hat man seine bequeme Ruhe: Sie hören auf zu kritisieren und zu nörgeln, und du fühlst dich sicherer und geborgener. Die Sicherheit und Geborgenheit der Anpassung ist jedoch nur ein Scheinfrieden. In ihm kommt deine eigene Wahrheit nie ganz zur Ruhe, da du dich nur angepaßt hast. Du wirst deshalb vielleicht sogar gelobt, aber in dir ist noch etwas anderes, sind deine aufrichtigen Gefühle und die Gedanken, die daraus entstehen.
Die Anpassung durch Manipulation kannst du nur eine gewisse Zeit durchhalten. Wenn sich Freunde von Dir abwenden, wenn du deinen Job verlierst, wenn eine Liebesbeziehung zerbricht, dann wirst du innerlich wachgerüttelt, denn es muß gehandelt werden. Das Leben stellt dich vor eine schwierige Anforderung; und vor ihr stehst du allein. Du kannst natürlich jemand anderen fragen, wie er an deiner Stelle handeln würde aber kann er dir eine sinnvolle Antwort geben? Ist er nicht selbst manipuliert und dadurch abhängig von fremdbestimmten Vorurteilen, Meinungen und Einstellungen? Ein angepaßter Mensch kann die nur einen Rat der Anpassung geben. Brauchst du aber nicht gerade jetzt, in dieser Konfliktkrise einen freien Rat, eine individuelle Lösung, einen dir gemäßen Gedanken? Viele glauben, durch Anpassung der Individualität ausweichen zu können. Ist Anpassung an die Normen aber die Lösung? Bitte stelle dir folgende Frage selbst: Kann ich durch Anpassung an ein Persönlichkeitsbild, das mir andere empfehlen, oktroyieren wollen oder vorleben, mein Problem lösen? Wohl kaum. Ständig bist du den Wertungen der anderen ausgesetzt, die beurteilen, ob du dieses gut und richtig gesagt oder gemacht hast und jenes falsch. In der Mathematik gibt es solch ein richtig oder falsch, doch im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und Individuation gibt es dieses Richtig oder Falsch nicht, auch kein Gut oder Schlecht. Was ist überhaupt gut oder schlecht?
In diesem Moment wird dir bewußt, daß es darum geht, wer du bist. Jede Krise birgt dir die Chance, dir selber näher zu kommen, zur Selbstbestimmung zu gelangen, authentisch zu fühlen, zu denken und zu entscheiden. Jede Krise sollte deshalb, so leidvoll und schmerzhaft sie zweifellos ist, als ein Wachstumsprozeß zur Reifung gesehen werden. Du erhälst die Chance, wieder ein Stück mehr über dich selbst zu erfahren. Wenn alles glattgeht, dann funktionierst du zwar reibungslos, aber es verändert sich nichts in dir. Es bedarf gerade der Krisen, der Widerstände und der Reibungen, damit du lernen kannst, welche Möglichkeiten in dir stecken. Glück und Erfolg zu haben ist einfach. Das wünscht sich jeder, weil dann scheinbar alles in bester Ordnung ist. Jedoch: Schwierigkeiten zu begegnen ist ein wahres Glück für Entwicklung und Selbsterfahrung. Schwierigkeiten, Konflikte und Reibungen machen dich wach und führen dich zu dir selbst; Glück schläfert dich ein, und zwar bis zu einer Stunde, in der du schockartig dem Neuen begegnest.
Hermann Hesse sagt:
Meine Aufgabe ist es nicht, anderen das objektiv Beste zu geben, sondern das Meine so rein und aufrichtig wie möglich. Du brauchst nicht das objektiv Beste zu geben, denn wer kann schon bestimmen, was das ist? Wenn du das deine so rein und aufrichtig wie möglich gibst, dann ist das das Beste, was du geben kannst. Es kommt also darauf an, daß du authentisch bist. Dieser Vorgang des Authentisch-Werdens, das ist der Reifeprozess des Erwachsen-Werdens.
Mehr und mehr authentisch zu sein, der du innerlich bist, also das, was du fühlst, aufrichtig zu erkennen und umzusetzen: das ist der Weg der Selbstwerdung. Es geht darum, keine Kopie zu sein, sondern ein Original. Denn: Durch die Einflüsse der Umwelt besteht die Gefahr, daß du zu einer Kopie wirst, zu einem Abklatsch der Regeln, Richtlinien, Normen und Vorstellungen davon, wie du sein solltest. Es geht darum, daß du gegen alle diese Fremdbestimmungen, herausfindest, wie und wer du wirklich bist.
(C) 1996 Christian Julius (Superhobel)
„Die Einflüsse der Fremdbestimmung sind gewaltig und verlockend. Deshalb bedarf es immer wieder der Konflikte und Krisen, damit du wach wirst und nein sagst. Fremdbestimmung ist Manipulation. Du wirst manipuliert von Eltern und Lehrern, den Bekannten, Freunden, Partnern, den Arbeitskollegen und Chefs. Diese Einflüsse haben eine enorme Wirkung, denn wenn man es anderen recht macht, dann hat man seine bequeme Ruhe: Sie hören auf zu kritisieren und zu nörgeln, und du fühlst dich sicherer und geborgener. Die Sicherheit und Geborgenheit der Anpassung ist jedoch nur ein Scheinfrieden. In ihm kommt deine eigene Wahrheit nie ganz zur Ruhe, da du dich nur angepaßt hast. Du wirst deshalb vielleicht sogar gelobt, aber in dir ist noch etwas anderes, sind deine aufrichtigen Gefühle und die Gedanken, die daraus entstehen.
Die Anpassung durch Manipulation kannst du nur eine gewisse Zeit durchhalten. Wenn sich Freunde von Dir abwenden, wenn du deinen Job verlierst, wenn eine Liebesbeziehung zerbricht, dann wirst du innerlich wachgerüttelt, denn es muß gehandelt werden. Das Leben stellt dich vor eine schwierige Anforderung; und vor ihr stehst du allein. Du kannst natürlich jemand anderen fragen, wie er an deiner Stelle handeln würde aber kann er dir eine sinnvolle Antwort geben? Ist er nicht selbst manipuliert und dadurch abhängig von fremdbestimmten Vorurteilen, Meinungen und Einstellungen? Ein angepaßter Mensch kann die nur einen Rat der Anpassung geben. Brauchst du aber nicht gerade jetzt, in dieser Konfliktkrise einen freien Rat, eine individuelle Lösung, einen dir gemäßen Gedanken? Viele glauben, durch Anpassung der Individualität ausweichen zu können. Ist Anpassung an die Normen aber die Lösung? Bitte stelle dir folgende Frage selbst: Kann ich durch Anpassung an ein Persönlichkeitsbild, das mir andere empfehlen, oktroyieren wollen oder vorleben, mein Problem lösen? Wohl kaum. Ständig bist du den Wertungen der anderen ausgesetzt, die beurteilen, ob du dieses gut und richtig gesagt oder gemacht hast und jenes falsch. In der Mathematik gibt es solch ein richtig oder falsch, doch im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und Individuation gibt es dieses Richtig oder Falsch nicht, auch kein Gut oder Schlecht. Was ist überhaupt gut oder schlecht?
In diesem Moment wird dir bewußt, daß es darum geht, wer du bist. Jede Krise birgt dir die Chance, dir selber näher zu kommen, zur Selbstbestimmung zu gelangen, authentisch zu fühlen, zu denken und zu entscheiden. Jede Krise sollte deshalb, so leidvoll und schmerzhaft sie zweifellos ist, als ein Wachstumsprozeß zur Reifung gesehen werden. Du erhälst die Chance, wieder ein Stück mehr über dich selbst zu erfahren. Wenn alles glattgeht, dann funktionierst du zwar reibungslos, aber es verändert sich nichts in dir. Es bedarf gerade der Krisen, der Widerstände und der Reibungen, damit du lernen kannst, welche Möglichkeiten in dir stecken. Glück und Erfolg zu haben ist einfach. Das wünscht sich jeder, weil dann scheinbar alles in bester Ordnung ist. Jedoch: Schwierigkeiten zu begegnen ist ein wahres Glück für Entwicklung und Selbsterfahrung. Schwierigkeiten, Konflikte und Reibungen machen dich wach und führen dich zu dir selbst; Glück schläfert dich ein, und zwar bis zu einer Stunde, in der du schockartig dem Neuen begegnest.
Hermann Hesse sagt:
Meine Aufgabe ist es nicht, anderen das objektiv Beste zu geben, sondern das Meine so rein und aufrichtig wie möglich. Du brauchst nicht das objektiv Beste zu geben, denn wer kann schon bestimmen, was das ist? Wenn du das deine so rein und aufrichtig wie möglich gibst, dann ist das das Beste, was du geben kannst. Es kommt also darauf an, daß du authentisch bist. Dieser Vorgang des Authentisch-Werdens, das ist der Reifeprozess des Erwachsen-Werdens.
Mehr und mehr authentisch zu sein, der du innerlich bist, also das, was du fühlst, aufrichtig zu erkennen und umzusetzen: das ist der Weg der Selbstwerdung. Es geht darum, keine Kopie zu sein, sondern ein Original. Denn: Durch die Einflüsse der Umwelt besteht die Gefahr, daß du zu einer Kopie wirst, zu einem Abklatsch der Regeln, Richtlinien, Normen und Vorstellungen davon, wie du sein solltest. Es geht darum, daß du gegen alle diese Fremdbestimmungen, herausfindest, wie und wer du wirklich bist.